Weber's Claviermusik: Rondo in Es dur, Aufforderung zum Tanz, Polacca in E dur, Huit pièces à quatre mains

[201] Er vollendete am 2. Juni das große Rondo in Es, am 28. Juli die »Aufforderung zum Tanz«, am 25. Juli die große Polacca in E dur und arbeitete in den Monaten Juli und August die »Huit pièces à[201] quatre mains«, deren Ideen-Reichthum sie lange zu Lieblingen sinniger Clavierspieler gemacht haben.

Weber's Clavierwerke, und die eben genannten können als charakteristischste und den Typus aller am ausgeprägtesten an sich tragend betrachtet werden, sondern sich nach Tendenz, geistiger und technischer Form bedeutsam von denen seiner Vorgänger ab. Sie, wie seine Kammermusikwerke und Lieder, sind eben so viel Reflexe des dramatischen Dranges seines Genius, Vorstudien zu dramatischen Werken, Episoden und Pausen im Schaffen derselben und entlehnen ihren hauptsächlichen Reiz derselben Eigenschaft, die das Drama packend und fortreißend macht, der zwingenden Gewalt der Steigerung und der rhythmischen Schönheit der Diktion. Diese Eigenschaft haben sie fast alle, und bei mehreren, die zu seinen brillantesten Schöpfungen gehören, ist ihr sogar die tief-innerliche, still glühende Wärme des um seiner selbst willen geschaffenen Kunstwerks, geopfert. Riehl sagt vortrefflich:

»Weber hielt sich mehr als Beethoven an die Masse, sein edler, im schönsten Sinne adliger Geist, suchte dieselbe zu sich herauszuziehen, aber echte Kammermusik konnte er nun doch nicht mehr schreiben. Als zwei neue Mächte des musikalischen Volkslebens, waren Concert und Oper despotisch in den Vordergrund getreten, das steht selbst in seinen Sonaten geschrieben. Seine vierhändigen Sonatinen1 sind überwiegend auf lied und tanzartige und auf opernhafte Motive gegründet.«

Die Sonate in ihrer strengen Form, die im Sinne der klassischen musikalischen Schule der Mittelpunkt der Claviermusik ist, bildet ihn nicht in Weber's Clavierwerken, aber es herrscht darin auch keine andere bestimmte Form vor.

Die Maienzeit der romantischen Schule, die in Weber's Werken keck und lustig aufblühte, verlangte für ihre neuen Ideen noch neuere Gestalten, und so wie sie in der Poesie nach der Form des Südens, Nordens und Ostens und der Vorwelt griff, so versuchte sie auch in[202] der Musik ihre Erscheinungen im verschiedensten Costüme auftreten zu lassen, prüfend, welches der oder jener Idee am besten lassen könnte. Weber hat im Sinne der Schule, deren Hauptrepräsentant und Gipfelpunkt er ist, in dieser Hinsicht mehr experimentirt als fast alle andern. Es giebt fast kein Volk, dessen Nationaltracht er nicht entlehnt hätte, um seine Gestaltungen damit zu drapiren, die doch im Grund nirgendwo den Ursprung aus seinem edlen, echt deutschen Herzen verläugnen können und unter Turban, sicilianischer Fischermütze, polnischem Kalpak und chinesischem Spitzhute hervor uns immer mit ihren treuen, germanischen Augen anschauen. Es giebt ferner kaum eine musikalische Form, die er nicht für die Verkörperung einer Idee als die passendste gefunden hätte und so sehen wir ihm polnische, sarazenische, italienische, norwegische, spanische, ungarische, zigeunerische, türkische, ja sogar chinesische Motive in Ouvertüren, Romanzen, Potpourri's, Capriccios, Serenaden, Phantasien, Rondos und wo keine Bezeichnung paßte, »Pieçen« mit deutschem Geiste an deutsche Herzen appellirend vorführen, ohne daß das jederzeit reizend durchgeführte Experiment zum maßgebenden Resultate geführt hätte. Riehl sagt weiter:

»Es ist kein Unglück, wenn Weber nicht zum klassischen Abschlusse seiner Claviermusik kam, wie Mozart und Beethoven; indem er diesen Ruhm dahin gab, ward er der erste große Musiker, der nicht vom naiven Schaffen ausging, sondern von der reflektirenden Erkenntniß, der, getragen von allgemeiner Bildung, die Tonkunst erst recht in die allgemeine Bildung hineinführte, der sie verknüpft mit der Poesie und Literatur, ja mit dem öffentlichen Leben seiner Zeit, wie vor ihm kein Anderer und hiermit die ganze Genossenschaft der Tonsetzer zugleich um eine sociale Stufe höher hob.«

Aber der Geist der Zeit, in dem Weber schuf, hatte außer der Neigung für die über den Druck des Lebens hinausführenden Tendenzen und Versuche der romantischen Schule, auch fest auf Erden stehende Glieder, mit denen er rüstig vorwärts schritt. Die Völker hatten ihre Kraft erprobt. Vorwärts! Vorwärts! war ihre Losung im Felde gewesen, blieb es in den Kämpfen des Friedens. Opposition[203] gegen das Fremdländische, Vorfreiheitliche, pulste im ganzen Leben der Völker. Weber's charakteristisches Lieblingstempo, das »Allegro con fuoco«, von dem, wie der oft erwähnte, berühmte Aesthetiker sagt, selbst in seinen schmelzendsten Adagios ein Fünkchen glüht, der chevalereske Schwung seiner Musik, ihre edle Vornehmheit und deutsches Selbstbewußtsein machte, daß seine Claviermusik in allen Kreisen des Volks als eine glänzende Lösung eines Zeitbedürfnisses begrüßt wurde und ließ seine Volkslieder aus dem neuerweckten Volksbewußtsein, »in gewisser Art sogar naiv«, herausklingen. Ein Blick auf die obenerwähnten Clavierwerke dieser Lebensperiode Weber's, belegt das Gesagte mit reichen Beispielen, die noch im Interesse und Bedeutsamkeit durch die nahe liegende Vermuthung gewinnen, daß das Material, das Weber unzweifelhaft schon für die Composition der Oper »Alcindor« aufgespeichert hatte, und das, seiner Natur nach, sich nicht zur Benutzung in der »Jägerbraut« eignete, zur Composition dieser Clavierwerke Verwendung gefunden habe. Der dramatische Charakter der »Huit pièces«, die Marsch, Lied, Arie, Chor unverkennbar enthalten, der üppige Reichthum der Motive im Es dur-Rondo und der großen Polacca würden dieser Vermuthung noch mehr Grund geben, wenn auch nicht das bedeutsamste aller genannten Werke die »Aufforderung zum Tanz« gebieterisch auf die noch prägnanter als sonst ausgesprochene, dramatische Richtung Weber's in jener Zeit hindeutete. Der Einfluß, den dieß kleine, tief originale Singspiel ohne Worte auf dem Clavier, auf die Kunst im Allgemeinen geübt hat, läßt sich nicht besser schildern, es läßt sich selbst nicht besser charakterisiren, als mit Riehls Worten:

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 201-204.
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